Todes-Romantik-Songs: Poetisch oder toxisch-manipulativ?

Veröffentlicht am 2. September 2025 um 16:05

Aufrufe zum gemeinsamen Selbstmord – „Mädchen, ich will mit dir sterben. […] Wir werden in Flammen ertrinken“ (Type O Negative) Androhen von Selbstmord wegen Liebe – „Du bringst mich dazu, sterben zu wollen. Ich werde nie gut genug sein“ (The Pretty Reckless) der Wunsch vom Liebsten ermordet zu werden – „Kreuzige mich in deinem Bett! Wirst du mich lieben, wenn ich tod bin?“ (Almira Elfeky), über klassische romantisierte Todessehnsucht – „Es ist nicht unsere Schuld, dass der Tod in uns verliebt ist. […] Wir atmen nur, um dahin zu schwinden und rennen nur, um gefangen zu werden“ (HIM) bis hin zu Mordgelüsten aus Liebe – „Ich lebe für dich, aber ich lebe nicht. Nimm meine Hand bevor ich töte!“ (Alice in Chains) …das Feld der Todes-Romantik-Love-Songs ist ein Fass ohne Boden.

Shakespeare, Die Leiden des jungen Werthers, Wagners Tristan & Isolde und Arwen und Aragorns Liebesgeschichte im Herrn der Ringe, Twilight! … leidvolle Liebe wird schon seit Jahrhunderten in der Kunst gerne idealisiert und verklärt. Mir fällt auf, dass in Rock- und Pop-Songs wieder gehäuft Thematiken des Liebestodes und des Selbstmordes aus Liebe aufgegriffen werden. Die Produktivität dieses Themas scheint immens.

Und ja klar, alle sehnen sich danach jemanden zu lieben und geliebt zu werden. Das ist zutiefst menschlich. Aber dieser ständige Konsum trauriger, romantischer, kitschiger Songs dazu macht unseren Umgang mit dieser Sehnsucht, wie ich glaube, nicht gesünder.

Im Folgenden möchte ich versuchen abzuwägen, ob solche „Todes-Romantik-Songs“ an sich poetisch-wertvoll und kathartisch sind oder aber negativ manipulieren.

Zuerst einmal sind solche tragischen Liebeslieder "highly relatable". Die vergebliche Suche nach Liebe, scheiternde Liebe…das kann existenziell wehtun. Es ist tröstlich mithilfe tieftrauriger Balladen in seinem Selbstmitleid zu baden. Unser Unterbewusstsein und Emotionen bauschen Liebes-Dinge unglaublich auf. Da kann man sich schon einmal wirklich todeselend fühlen und mit Nick Caves Grabes-Liebe mitfühlen. Keine Frage!

Auch wenn man gerade selbst kein Liebeskummer hat, sind solche Songs ästhetisch-poetisch befriedigend. Sie haben vielleicht einfach keinen weiteren Zweck und müssen nicht „healthy“ sein, sondern sind einfach schön. An sich. Sie können einen rühren. Ist nicht auch die Natur immer eine Mischung aus schön und unschön? Liebe und Tod gehören eben zusammen. Ja, die Vergänglichkeit und die Lust, wilde, kranke Herzen blablabla….

Aber was diese Songs vor Allem vermitteln, ist eine ästhetisch-philosophische Ideologie romantischer Liebe. Liebe wird dargestellt als die absolute Erlösung und das Aufgehen im Unendlichen. Es ist wahnsinnig starke Liebe oder Tod! Diese Botschaft setzt völlig unrealistische Liebes-Standards und führt zwangsläufig zu Leid.

Die Sehnsucht nach intensiver romantischer Liebe ist wohl oft eher eine Suche nach sich selbst. Meist sehnt man sich gar nicht primär nach einem Partner oder einer Partnerin, sondern nach Identität, nach Selbstbewusstsein, Selbstliebe – „Fick mich zu Tode! Liebe mich bis ich mich selbst liebe“ (Lana Del Rey) Die sexuelle Lust, welche man für jemand anderes zu haben scheint, wird wieder auf sich selbst gerichtet. Das Objekt der leidvollen Liebe kann auch die eigene Seele sein, wie in Thomas Mannes Tristan, wo Gabriele am Liebestod stirbt, weil sie nie mehr ihr authentisches Selbst sein kann. Ist man in der Hinsicht eher unreflektiert, stürzen einen bestimmte Songs in eine Art „Romantik-Delusion“, die einen von seinen eigentlichen Problemen ablenkt.

Auch wird in Rock-/Pop-Songs die ganze Zeit Liebe und Sex KONSUMIERT! Man hat durch Songs die Möglichkeit sich 247 in Herzschmerz oder Herzrasen zu suhlen. Ein Romantik-Eskapismus, ein Lustgefühl, ein Lifestyle, eine materialisierte Ästhetik, eine Vollverblödung, wenn man mich fragt. Wir, die Liebes-Süchtigen, sehen kitschige Songs als Zufluchtsort, an dem wir vor dem eiskalten Kapitalismus entfliehen können. Lana Del Rey allein auf der Parkbank mit einer Zigarette. "Ach ja, meine authentischen, tiefen Gefühle!" Aber diese Flucht scheitert in der Realität gewaltig. Denn die ist ein patriarchaler Kapitalismus! Wir sind, auch in unserer Sexualität und Emotionalität, Waren, die wir selbst nutzen und die andere benutzen können. Unsere Romantik-Vorstellung ist gar nicht so individuell, wie wir glauben, sondern verwoben mit unserer Konsum-Kultur. Alles, was wir hören, prägt uns. Wie suchen nach Selbstwert in diesem System und scheitern!

Ja, es gibt wunderschöne Todes-Romantik Songs, wirkliche Kunstlieder! Finde ich super! Aber alle kitschigen Todes-Schnulzen mit völliger Aufopferung der Frau für den Liebsten – „[…] Ich würde mir jeden Knochen für dich brechen“(Almira Elfeky). Bitte nicht! Einfach mal über andere Themen schreiben! Das ewige Aufgeilen am Todes-Liebesspiel…I get it…aber kein Bock! Nicht cool! Solche Songs unterdrücken jegliche revolutionäre Energie und lösen echte Probleme utopisch mit einem Liebestod alla Romeo und Julia! Nichts ändert sich! Ihr seid halt tod. Na und?

 

Hier eine Playlist mit besonders schlimmen (teilweise schönen) Beispielen:

https://open.spotify.com/playlist/11DvD1MZy3qgsPmf6rhJ18?si=8aa9a8ce06cd47da