Gelber Nebel, eine einsame Holzhütte. Zentral über den erhöhten Drums ein grelles Neon-Kreuz. Wabernde Anspannung liegt in der Luft. Man hört nur metallische, glockenähnliche Geräusche und das aufgeregte Stimmengewirr der Menschen. Es hat etwas von einem Gottesdienst, von einem Ritual. Die Energie ist trotz drei Hardcore-Vorbands am Siedepunkt. Auch wenn die Körper schon am Limit sind. „Danach geh ich direkt ins Bett!“, lacht ein etwa 30-Jähriger neben mir. „Alles tut mir weh. Vielleicht kann ich den Schmerz aus der Hüfte rausmoshen!“, lacht ein anderer. Seit mindestens 2 Stunden stehen und tanzen die inzwischen völlig verschwitzten Fans.
Endlich betreten die Musiker die Bühne. Im düsteren Licht. Präsent, bewusst. Der eine Gitarrist sieht aus wie der verrückte König aus einem Shakespeare-Drama. Sänger Bryan Garris, in Pulli, weißen Socken und Loafern, dreht sein Mikrofon zurecht und steht dann aufrecht einfach da. Schaut das Publikum an, als wolle er nochmal kurz sagen: “Jetzt sammelt euch! Seid ihr bereit das mit uns zu machen?“ Dann bricht die erste Lärmwand und die ersten Lichtblitzgewitter aus den Boxen. Er streckt seine Faust in die Höhe. „Followed by the thirst.“, schreit der Sänger ins Mikrofon. Die Band setzt direkt schwer, erbarmungslos im synchronen laidback-Beatdown-Rhythmus ein. „I am scared.“, brüllt Bryan Garris. In seiner Stimme hört man den Terror. „Scratching at the surface of my…!“ Eine unertbittlich-heavy Pause. „..face!“ Der kleine Junge, der mit Ohrenschutz in der ersten Reihe von seinem Vater abgeschirmt wurde und gehofft hatte, das Konzert sicher von dort sehen zu können, wird augenblicklich von Security Guards weggetragen. Es wird vorne immer enger und das Crowdsurfen beginnt direkt. Der Raum scheint zu brennen.
Zweites Stück: Hämmernde Lärmwand. Die 5 Musiker und der ganze Raum erliegen dem Zwang dem schweren Beat mit dem Körper zu folgen. Kopf nach unten, leicht in die Hocke. Man muss die Intensität des Sounds mit dem Körper mittragen. Einfach locker dastehen ist physisch nicht möglich.
„King to none!“ schreit das Publikum die Backing Vocals zu „Deep In The Willow“, angeleitet von den dämonisch-tiefen Growls des Gitarristen Isaac Hale, mit. Bryan schreit ans Publikum gewandt: „I feel you!“ Er macht die Handbewegung für Circle-Pit. „Jump, jump, jump!“ Das müde und noch etwas überstimulierte Publikum erinnert sich langsam wieder, dass es einen Körper hat. Die Realität schlägt ein. Ich fühle mich so lebendig, wie lange nicht. Das Licht ist grell und ich werde trotz Müdigkeit hyperaktiv.
Die Bühne wird blau. Das Intro von „Mistakes Like Fractures“, dem Hit des letzten Albums „ A different Shade Of Blue“, kriecht in den Raum, kriecht in mein Herz. „Sing it with us!“, fordert der Sänger. Ungefähr 10 Menschen sind am Crowdsurfen und die Menge erwacht richtig zum Leben. Ich auch. Chaos macht sich breit! Das ist eine Schlägerei. Ein kollektives Ausleben von angestauter Wut. „MISTAKES LIKE FRACTURES!“, brüllt die Crowd. Es ist existenziell! Ich bin in dem Moment wütend und so glücklich. Alle zusammen. Übereinander, gegeneinander. Es ist ein Kampf und ein miteinander Tanzen. Der ultraheavy Breakdown des Songs erstrahlt in Blutrot und erbarmungslos-gelben Lichtern. Ohne Pause knallt ein etwas hip-hoppiger Beat, der direkt in Death-Metal-Hölle übergeht, in den Raum. „God knows“. Die Menge hat ein pulsierendes, wütendes, quirliges Eigenleben angenommen. Es gibt in der Mitte des Raumes niemanden mehr der steht. Die ununterbrochenen Strobo-Lichtgewitter und Drums machen uns high. Es ist wie eine Massentrance, einer Massenextase in Wut und Energie. „Do you hate me yet?“, schreit Bryan und gleich danach: „Dont stop moving everybody!“ Lila-gelbe Bühne. Zwischen unglaublich cool, Horrorfilm, Höllenpforten, okkultem Ritual, Dämonenbeschwörung. Die Band scheint alles zu sein. Bryan ist Prediger, kleiner, verzweifelter Junge, Entertainer, bester Freund, locker, verspielt, ultraaggressiv. Er ist die perfekte Jesus-Figur, um all seine Leiden auf ihn zu projizieren. „Put me back together!“ Dann: „Jump, jump!“ er ist ein gebrochener, traumatisierter, normaler junger Erwachsener aus Kentucky und ein wahnsinniger Anführer. Sonst bin ich kein Fan von übermäßiger Publikumsanimation. Doch bei Knocked Loose folge ich mit Begeisterung den Befehlen. Es ist, als würden Sie etwas wissen, was ich noch nicht weiß.
Es wird immer brutaler. Ein Song verschwimmt in den anderen. Ich spüre nur noch Bass, schwitzige Körper, meine Muskeln und die stehende Hitze des Raumes in meinen Lungen. Die Leute springen frenetisch. Es ist nicht die Tonhalle hier. Es ist eine Militär-Hardcore-Warehouse. Ein haunted House. Es geht um Leben und Tod.
Double-Bass-Wahnsinn hält die Körper lebendig. „Everybody start moving right now!“, wird das Publikum angewiesen. Jeder um mich herum schlägt sich selbst lose. Zwischen screetchenden Gitarren, Höllenpforten-Drums und Füßen im Nacken, fühle ich mich so geerdet und bei mir. Es ist ein Wunder. Die Lichtshow ist pures Drama. Mal ist die Band ein Scherenschnitt, mal in einer Kirche. Nach ungefähr 40 min kommt ein ganz alter Song des ersten Albums „Laugh Tracks“.
„Billy No Mates!“ „ Sing it!“ Und direkt geht es weiter in das diabolisch-bedrohliche -fast schon Meme-Intro von „Counting Worms“ „I wrote a song about getting better…!“ und Bryan bellt. „Wuff, Wuff!“ „Counting Worms!“, schreit die Menge. Stille, Aufbau, Ruhe vor dem Sturm-Breakdown. Die Musik ist so heavy, dass es körperlich fast wehtut. Ich möchte irgendwas zertreten. Bryan schreit aus vollem Halse etwas über Fehler. Und die Sängerin von Pest Control kommt auf die Bühne. „Suffocate!“ Sie übernimmt den Teil des nächsten Tracks, der auf dem neuen Album von Poppy gesungen wird. Das Mosh Pit wird nochmal geöffnet.
Schließlich ist auf einmal Ruhe, traurige, glasklare, langsame Gitarren perlen in die Dunkelheit. „I want everyone in this room to crowdsurf! Join the fucking show!“, ruft Bryan nochmal eindringlich. Menschen auf Menschen. Bryan hält den Mikrofon-Ständer mit einer Hand in die Höhe und „Sit & Mourn“ kracht durch die Stille. Verzweifelt, traurig, giftgrün. Blackmetal-Gitarren, Die Atmosphäre erinnert an das Chaos bei einer anarchistischen Straßenschlacht, die der Joker in Gotham City angezettelt hat. Grelles Licht von Polizeiautos, Menschenmassen und Rauch in der heißen, gefährlichen Nacht.
Für den letzten Chorus des hauptsächlich instrumentalen Tracks kommen plötzlich alle Mitglieder der 4 Bands „Knocked Loose“ plus „PestControl“, „Basement“ und „Harm‘s Way“ von dieser Tour mit Gitarren und Bässen auf die Bühne. Etwa 20 Leute spielen und headbangen synchron mit dem Beat mit. Auch Bryan spielt Gitarre. Im Hintergrund der perlend-melancholische Grabes-Backingtrack. Darüber das heavy Riff. Alle strahlen, lachen, haben sichtlich Spaß. Mut! Leben! Hoffnung! „Thank You! We‘re Knocked Loose!“ Das bin ich auch: Knocked Loose. Ganz im positiven Sinne.

(Ich im Bus nach Hause)
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